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Biografie

Tabellarischer Lebenslauf

(Foto Ernst-Lothar von Knorr)
Foto: Mara Eggert
  • 1896 in Eitorf/Sieg geboren, in Bonn aufgewachsen
  • 1902 erster Violinunterricht
  • 1907 Aufnahme in das Kölner Konservatorium (J. Joachim-Stipendium).
    Lehrer u.a. Carl Körner und Bram Eldering
  • 1912 erste Komposition
  • 1914 Abitur, Konservatoriumsexamen, Militärdienst
  • 1919 Violinlehrer an der Heidelberger Musikakademie, gleichzeitig kompositorische und musikwissenschaftliche Studien
  • 1920 Gründung der Heidelberger Kammerorchester-Vereinigung mit P. Gies
  • 1923 Konzertmeister beim Orchester des Djaghilewballetts in München
  • 1924 Aufbau und Leitung der Volks- und Jugendmusikschule Neukölln in Berlin
  • 1937 Staatl. Hochschule für Musik in Berlin (1940 Professur)
  • 1941 stellv. Direktor der Hochschule für Musik in Frankfurt/Main
  • 1944 durch Luftangriff Totalverlust der Manuskripte seines bisherigen kompositorischen Schaffens
  • 1945 Aufbau und Leitung des Staatl. Hochschulinstituts für Musikerziehung in Trossingen
  • 1952 Direktor der Akademie für Musik und Theater in Hannover
  • 1961 Großes Bundesverdienstkreuz
  • 1961 Leitung der Hochschule für Musik und Theater in Heidelberg bis 1969
  • 1973 am 30. Oktober in Heidelberg verstorben


Der Komponist Ernst-Lothar von Knorr (1896––1973)

 
Ernst-Lothar von Knorr mit Yehudi Menuhin, ca. 1960/61

Er gehört zur Generation von Carl Orff, Johann Nepomuk David und Paul Hindemith. Und wenn Ernst-Lothar von Knorr aus vielerlei Gründen mit seinen Kompositionen einer breiteren Öffentlichkeit nicht so bekannt wurde wie der eine oder andere seiner eben genannten Zeitgenossen, so ist er als Musikerpersönlichkeit doch einer der prägenden Erscheinungen im deutschen Musikleben gewesen.
 
Ernst-Lothar von Knorr war ein außergewöhnlich vielseitiger Mensch und ein hochgebildeter Musiker, ein glänzender Geiger, ein präziser Orchesterleiter mit einem unfehlbaren Ohr, ein Pädagoge mit Charisma, ein Freund der Literatur, der Malerei, besonders des Expressionismus, den schönen Dingen des Lebens zugetan, ein Weltmann mit dem kultivierten Charme des Rheinländers, ein Organisationsgenie und auch ein Komponist von Rang, der die Energie hatte, in der zweiten Lebenshälfte nochmals an einem Punkt Null anzufangen, nachdem seine Werke bis auf wenige Abschriften verbrannt waren. Ein Musiker, der auch in der Nazizeit Rückgrat bewiesen hatte und manchem das Überleben sichern konnte.

Das Werkverzeichnis Ernst-Lothar von Knorrs umfasst rund 200 Kompositionen, etwa die Hälfte davon wurde vernichtet. Vieles davon hat von Knorr für bestimmte Anlässe, für ein bestimmtes Publikum, für ein gerade vorhandenes Ensemble oder für einzelne Instrumentalisten geschrieben, darunter relativ wenige Orchesterwerke, viel Kammermusik in teils sehr aparten Besetzungen, viel Vokalmusik, darunter herrliche Chöre, die zum Besten gehören, was im 20. Jahrhundert geschaffen wurde, gerade weil von Knorr die Bindung an das Volkslied hatte.

 
Ernst-Lothar von Knorr 1922

In seinen Kompositionen ging Ernst-Lothar von Knorr von der alten, vornehmlich von der barocken Musik und ihrer Wiederbelebung zu Anfang des 20. Jahrhunderts aus. Die Linearität ist ein Grundzug seines Komponierens. Genau so wie die Nähe zum Instrument, der Rückgriff auf alte Modelle der Polyphonie, auf modale Harmonik und Melodik und eine frei atmende Rhythmik. Ungefähr ab 1950 zeichnet sich in von Knorrs Musik etwas Neues ab. Elemente der Dodekaphonie werden in seinen Stil eingebaut, was sich dann in den vier Spätwerken, die alle erst zwischen 1969 und 1973 entstanden sind, zu einer faszinierenden Synopse kompositorischer Wege und Praktiken von der Renaissance bis in die Gegenwart verdichtet. Das Streichquartett von 1969, die Fantasie für Klarinette und Klavier von 1970, die „Diaphonia“ für zwei Klaviere von 1971 und die II. Sonate für Violoncello und Klavier von 1972 sind meisterhaft gemachte Werke der modernen Musik, an denen keiner vorübergehen kann, der ein Ohr für Qualität und stilistische Individualität hat.

Der Komponist Gerhard Frommel, der unzeitgemäße Romantiker, hat es so formuliert:
"Die Formenwelt des Barock ist angereichert durch viele Einflüsse des fortschreitenden Jahrhunderts, nach wie vor die musikalische Heimat von Knorrs. Tonalität scheint durch die atonalen Harmonik fühlbar hindurch, Diatonik behält ihren Vorrang vor einbrechender Dodekaphonie, die Differenzierung der oft athematisch aufgelösten oder aufgesplitterten Einzelteile ordnet sich auch jetzt noch deutlichen Großformgliederungen unter – vor allem aber: der große, mitreißende Zug, das nie aussetzende dynamische Geschehen in dieser Musik bewirken ein Ganzes, das die dichten Folgen der Mikrostrukturen überwölbt und den Hörer, auch wo er vielleicht schwer begreifen kann, niemals dam Chaos überlässt, ihm Orientierungsmöglichkeiten bietet und damit doch wieder eine, wenn auch zweckentbundene konzessionslose Kommunikation herstellt."

Freiströmendes Melos auf exakter struktureller Basis, Emotion und eine radikale Klarheit: das ist der späte, ganz sich selbst gehörende Ernst-Lothar von Knorr. Ihn nicht mehr zur Kenntnis nehmen zu wollen, wäre eine Sünde der Nachgeborenen.

Hansdieter Werner,
Reutlinger General-Anzeiger